WG210 – Briefentwurf an Alma Mahler
Berlin, zwischen Dienstag, 26. und Donnerstag, 28. September 1911
Toblacher Bahnhof. ängstige
Dich nicht – die Sache ist mir
komisch – mündlich sollst
Du alles erfahren
Auf meine Frage Du hattest
gesagt, Du wüßtest nicht
wo wir uns noch sehen
sollten könnten - und
wenn ich \nun/ doch bei der
Abfahrt war? – und daraus
meine
Ich komme noch nicht
darüber hinweg, daß Du nicht
[nach Berlin] herkamst, warum sagst
Du mir nicht die wahren
Gründe??? warum de-
pechierst Du mir einen
Nebengrund, denn Deine
Erkältung gab nicht plötzlich
d. Ausschlag. Ich kann das noch
garnicht verwinden.
Deine Gesundheit macht
mir viel Sorge, Du bist
immerfort krank.
Aufdringlichkeit. Und
glaubst Du ich sei jetzt
nicht mehr fähig einer
ersten Tobelbader Nacht.
Sei versichert, wärst Du
hierher gekommen, ich
hätte Dich gebeten wäre
so gewesen, daß bei
uns hätte weilen können
Warum zeigst Du
mir Deine Liebe nicht?
Ja, mein Herz, ich verstehe
[unkenntlich gemachtes Wort] was Dir Zurückhaltung
auferlegt und bescheide
mich in Geduld aber wenn
Du Liebe fühlst, laß es
mich wissen
Kannst Du Deine Liebe
nur zeigen, wenn Du in Angst
bist? nicht groß gedacht. Ich
zwang mich Dir zu zeigen
wie es wirklich in mir aus-
sah.
Ich bin sehr unglücklich
daß Du mir nicht schriebst
ich hatte es bestimmt er-
wartet. Wolltest Du mich
jetzt demütigen, ,
nachdem ich selbst ein
Unrecht eingestehend
Dir unzweideutige Be-
weise
Deine Art zu mir in T.[oblach] hat
das alles heraufbeschworen.
Ich konnte es nicht ertragen,
daß Du mich nur halb liebst
darum mußte ich irgend
etwas tun, daß [!] Dir meine
ganze Kraft zum lieben zeigen
konnte
und beraubte mich frei-
willig, Gott weiß was es mich
gekostet hat, Deines Anblicks
Warum uns gegenseitig
mit Stolz quälen
Warum nicht nur zeigen
daß wir uns lieben? Ist
denn noch ein festeres A
binden nötig?
Du bist ja so groß,
stellst mich so in
den Schatten; was soll
ich nur tun, um mich
zu Dir hinaufzulieben.
Alles was wir erlebt ha-
ben kann keiner wieder
von uns erleben.
Ich kann kein an-
deres Weib ansehn, von
den Qualen, die ich im
Winter litt, habe ich
Dir nie ge
Ich entschuldige
mich nicht, im
Gegenteil ich bin im
tiefsten Grimm
über mich, das schlimmste
für einen Menschen
Apparat
Überlieferung
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Quellenbeschreibung
5 Bl. (5 b. S.) – Notizblock.
Druck
Erstveröffentlichung.
Korrespondenzstellen
Antwort auf AM109 vom 16. September 1911 (Warum hab’ ich in Toblach nichts mehr von Dir gesehen? […] Ich hatte Dich auf Deinem Balcon vermuthet bei meiner Abreise[,] aber Du warst nicht zu sehen): Toblacher Bahnhof. ängstige Dich nicht – die Sache ist mir komisch – […] und wenn ich \nun/ doch bei der Abfahrt war?, AM110 vom 18. September 1911 (Wann hast Du meine [Zeilen] in Toblach bekommen und hast Du mich bei der Abfahrt gesehen? Ich war doch sehr ent[t]äuscht, dass ich Dich nicht sah): Du hattest gesagt, Du wüßtest nicht wo wir uns noch sehen sollten könnten - und wenn ich \nun/ doch bei der Abfahrt war? und AM112 vom 24. September 1911 (bin krank kann nicht kommen): Ich komme noch nicht darüber hinweg, daß Du nicht [nach Berlin] herkamst, warum sagst Du mir nicht die wahren Gründe??? Beantwortet durch AM114 vom 29. September 1911 (Als Ascete durch die Welt gehen – nein, dazu hat Gott Dich nicht gemeint. Mich auch sollst Du entweder ganz oder gar nicht haben): Ich konnte es nicht ertragen, daß Du mich nur halb liebst […] und beraubte mich freiwillig, Gott weiß was es mich gekostet hat, Deines Anblicks.
Datierung
WG210 ist als Reaktion auf AM112 entstanden, ein Telegramm, das am 24. September 1911 bei WG einging. Aufgrund der Formulierung daß Du nicht [nach Berlin] herkamst muss der vorliegende Entwurf nach dem Gedenkkonzert für am 25. September 1911 entstanden sein (s. WG206). Als frühestmögliches Schreibdatum kommt dadurch der 26. September infrage. Aufgrund der Antwort von AM in AM114 vom 29. September kommt bei einer Postlaufzeit von einem Tag ein spätestmögliches Schreibdatum der 28. September 1911 infrage.
Übertragung/Mitarbeit
(Elisabeth Behnle)
depechierst – in AM112 vom 24. September 1911.
daß G.[ustav] bei uns hätte weilen können – s. WG207 vom 26. September 1911: als weilte Gustav unter uns.